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"Die man öffnet, darf man nicht fallenlassen. Man muss sie nachbetreuen", sagt ein betagter Journalist, der sein Leben lang viele Menschen interviewte (G. St. Troller). Es klingt wie im "Kleinen Prinzen" (A. de Saint-Exupéry): "Du bist zeitlebens für das verantwortlich, was du dir vertraut gemacht hast." Das geht nicht immer. Es übersteigt auch unsere Kräfte. Bei Jesus ist es anders.
Er hatte die Sache Gottes neu in Gang gesetzt, leidenschaftlich und unbedingt, präsent wie kein anderer. Seine brennende Nähe - kaum auszuhalten. Überwältigt von seiner Kraft - immer wieder die Frage: Wer ist dieser Mensch? Nachbar aus Nazaret, aber anders als die anderen Freunde und Arbeitskollegen. Wie einst Jahwe den Abraham, so hatte er einige ausgewählt und zu sich gerufen, an sich gebunden und auf sie gesetzt.
Bei ihm hatten sie wieder das Gefühl, dass Gott der Herr ist und Jesus sein Bevollmächtigter. Er war so, wie er redete, frei und voll von göttlicher Energie. Wo er auftrat, weckte er Leben um sich. Wer ihm offen begegnete, spürte das Wunderbare an ihm. Die eigene Erdschwere erfuhr durch ihn die Schwerkraft des Himmels. Und alles ganz unprofessionell, nichts Gespieltes, vor allem kein "Gottestheater". Fromme wie Glaubensferne erlebten, was bisher "kein Auge gesehen und kein Ohr gehört hatte" (s. 1 Kor 2,9): Die neue Gegenwart Gottes - in Jesus! Die Lösung vieler Fragen. Er kannte die Antwort. Er war sie. - Und dann dieses Ende.
Ihr Lebensentwurf brach zusammen. Ihr alter jüdischer Glaube wurde schwer erschüttert: Ein Gekreuzigter gilt als von Gott verflucht. Da gab es nichts mehr zu diskutieren - weder zur Person noch zu seiner Sache. Es half nur noch eines: Weg vom Ort des Schreckens, aussteigen, sich den Schock von der Seele reden. Wer konnte das alles verstehen?
Die Emmausjünger hatten wohl andere Vorstellungen von Erlösung. Jesus hatte sie mehrfach davor gewarnt, an ihren alten Modellen zu kleben, statt sich auf seine Sehweise einzustellen. Er hatte sie auch davor gewarnt, nur ihre Interessen zu sehen. Er hatte sie mit dem Willen Gottes vertraut gemacht. - Er hatte! - Jetzt war für sie alles vorbei "- das mit Jesus von N." Sie hatten auf ein neues Leben mit ihm gesetzt. Nein, sie "begriffen nicht" (Lk 24,25). Aus dem Dunkel kamen sie allein nicht mehr heraus. Die Lösung konnte nur von außen, von oben kommen.
Alle Ostergeschichten sagen es: Er hat sich gezeigt! Der "Fremdling aus Jerusalem" (Lk 24,18). Maria von Magdala: "Ich habe den Herrn gesehen!" - Jünger: "Wir haben den Herrn gesehen!" Das völlig Unerwartete ist eingetreten. Er hat sich als lebendig erwiesen. Jahwe, der Gott des Lebens, hat zu ihm gestanden. Eine neue Zuversicht wächst in ihnen: Der alte Wegegott. Der Hirte Israels, wird sie auf neue Weise in seinem Sohn begleiten: "Der Herr ist mit uns!" Auch im Alten Bund lässt Jahwe die, die er sendet nicht allein. Jahwes Da-sein ist ein Mit-sein. Er "geht" mit ihnen, führt und beschützt sie. Von Geburt an heißt Jesus Emmanuel: Gott mit uns!
Die meisten seiner Anhänger werden ein ganzes Pilgerleben brauchen, um zu begreifen, warum Gott diesen Weg mit seinem Sohne gehen "musste". Und jeden Tag werden sich Gläubige in Zukunft auf den Weg machen und auf das geheimnisvolle Mitgehen Gottes vertrauen: "Du wirst mich führen und leiten" (Ps 31,4). Du wirst uns nicht aus den Augen verlieren, bis wir dich schauen von Angesicht zu Angesicht. Schon in der Frühzeit Israels: "Steh auf, ich will dich begleiten!" (1 Sam 9,26) Und: "Ich bin mit dir, ich behüte dich, wohin du auch gehst" (Gen 28,15).
Eine abgegriffene Predigtformel: "Jesus beim Brotbrechen erkennen." - Als ob das so einfach stattfinden würde, wenn wir Eucharistie feiern. Die Lukasgemeinde wusste, dass auch Jüngern erst die Augen geöffnet werden müssen "anhand der Schrift", bevor sie die Zeichenhandlung richtig sehen und den unsichtbaren Christus wahrnehmen können.
Das Unterwegssein dauert an und auch der Wechsel zwischen Glaube und Unglaube, Sehen und Blindheit, Erkennen und Nichtverstehen.
"Er hatte schon immer jemanden gebraucht, der ihn mitnahm", sagt eine Romanfigur. Jeder Gläubige kann so sprechen. Allein unter Fremden bleiben wir blind. Jesus selbst ist der unsichtbare geistliche Begleiter in den Weisen seiner Nähe. Dort werden uns Augen, Ohren und Herzen geöffnet. Die einmal zum Glauben geöffnet wurden erfahren eine ständige "Nachbehandlung". Er lässt niemanden als Waisen zurück. Seine bleibende Gegenwart bedeutet: Ständiger Aufbruch, Mitgenommenwerden und andauernde Blindenheilung, "Geführtwerden auf Wegen, die wir nicht kennen" (s. Jes 42). Die "geöffnet wurden" haben ein Ziel: IHN erkennen und in seinem Lichte umgeformt werden wie ER im Taborlicht! Emmaus war der Anfang eines Weges - vom Glauben zum Schauen.
Es ist relativ leicht, in einem religiös-gläubigen Milieu mitzuschwimmen. Die Zeit der christlichen Milieus ist vorbei. Der mündige Gläubige muss seinen eigenen Glaubensrhythmus finden, bewusst seinen Weg gehen und auch begründen können. Die tragende Gemeinde "wechselt" und ist nicht mehr "die Kirche im Dorf". Wenig heil, häufiger beschädigt und selten in ruhiger Balance suchen einzelne eine gläubige Deutung von Lebenssignalen oder Krisen. Der alte rituelle "Auffangraum" - Gemeinde -, die tägliche Gebetspraxis, ein beschaulicher Blick in die Schrift - hin und wieder - gaben (und geben) Kraft auf dem Weg. Das Leben wird auf sein Ziel hin gepolt: "Ihr sollt nämlich die Herrlichkeit Jesu Christi, unseres Herrn erlangen!" (2 Thess 2,14)
Denken wir so? Vom Ziel her fällt Licht auf unseren Weg: Taborlicht, Osterlicht. Unser Pilgerziel ist es, dorthin zu kommen, wo wir herkommen. Der Christusförmige ist der ganz in Gott und durch ihn Verwandelte. Jesus öffnete Jünger(innen), um sie aus dem Kreislauf ihrer Selbstverfangenheit herauszuholen und in Bereiche zu führen, die sie ohne ihn nicht erreichen können: "Das Große, das Gott denen bereitet hat, die ihn lieben!" (1 Kor 2,9).
Die Kirche ist der Raum, in dem Gläubige in besonderer Weise der Gegenwart des Auferstandenen anvertraut und preigegeben sind. Er will mit uns seinen Weg fortsetzen.
Bleibe bei uns, Herr Jesus, denn es wird Abend.
Begleite uns auf dem Weg,
mache unser Herz brennen
und wecke unsere Hoffnung.
(Stundengebet)
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Text: Dr. Hermann-Josef Silberberg
Foto: Michael Bönte, Kirche+Leben